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Bluttext

  • Autorenbild: Lara Alina Hofer
    Lara Alina Hofer
  • 26. Nov.
  • 2 Min. Lesezeit

Ich sitze auf der Toilette des JULL und sehe Blut.

Blut, überall dort, wo es nicht sein sollte.

Blut, das an Bedeutung verliert.


Ist das Blut erst mal draussen, liefert es Informationen über das Drinnen.

Mein Blut hat Informationen, die mir fehlen.

Auf Fragen, die mir durch den Kopf schwirren, weiss mein Blut längst die Antwort.

 

Also dann, Blutabnahme zum Wochenstart, es ist ein sonniger Montag in Zürich.

Szenerie am Löwenplatz.

Es gibt hier nicht nur ein, sondern zwei Arzthäuser.

«Lieber im Sitzen oder im Liegen?», fragt die Ärztin.

Ich muss beinahe lachen. «Im Liegen, bitte.»

 

Ich kneife meine Augen zu. Kann es nicht mehr sehen, das Blut.

Die Ärztin stellt viele Fragen.

Als Ablenkung, nicht aus Interesse, wohlverstanden.

«Was haben Sie heute gemacht? Was haben Sie heute gegessen?»

«Nichts und eine halbe Banane im Gehen.»

«Mehr nicht?» Mütterliche Fürsorge schwimmt in ihrer Stimme mit und bringt mich zum Weinen.

Wasser. Blut. Alles verlässt jetzt meinen Körper.

BIG SALE! Alles muss raus.

Ein Körper, mein Körper, macht Platz, für Neues.

«Mir isch Sturm im Chopf.»

«Wir sind gleich fertig», sagt die Ärztin. «Die Blutprobe wird ins Labor geschickt, in 14 bis 18 Stunden erhalten Sie Bescheid.»

 

Bescheid darüber, ob im Blut humanes Choriongonadotropin gefunden wurde.

Niemand weiss, was das ist, mit 23.

Alles ging ganz schnell. Rein, raus. Schlag auf Schlag.

Es blieb keine Zeit zum Denken. Es musste auch unentschieden entschieden werden.


Und jetzt - jetzt dehnt sich die Zeit aus. Unfairerweise, dehnt sich erst nach der Entscheidung die Zeit aus.

Vergeht ganz langsam.

Bleibt beinahe stehen.

Es muss jetzt abgewartet werden.

Künstliche VerlangSamung.

Leere.

Pause.

 

Dann, viele Stunden später, kommt endlich der Anruf.

Luftanhalten.

Der nächste, der spricht, tötet.

Das Potenzielle oder das Bisherige. Das alte Leben oder das Neue.


Die Ärztin spricht zuerst, und sagt: «Es wurde nichts in ihrem Körper gefunden.»

Aufatmen.

Es bleibt ein Körper, mein Körper.


Wenigstens ein Teil von mir sollte jetzt erleichtert sein.

Der andere hätte es sich vorstellen können. 



Dieser Text wurde publiziert im Oktober 2025 im Jungen Literaturlabor (JULL) in Zürich. Eine Lesung fand statt am Zürich Liest Festival 2025.



 
 
 

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